Besuch bei Klopstock

Glaube mir, ich ging mit einem Gefühl von Ehrfurcht in der Seele, als W.- und ich Herrn. Klopstock zum Hause seines Bruders, des Dichters begleiteten, das ungefähr eine Viertelmeile vor dem Stadttor steht. Es befindet sich in einer Reihe von kleinen, gewöhnlichen Sommervillen (denn so sahen sie aus), mit vier oder fünf Reihen junger kümmerlicher Ulmen vor den Fenstern; dahinter liegt ein Anger, und dann kommt eine völlig flache Ebene, von mehreren Straßen durchzogen. Was auch immer an Schönheit eben vor des Dichters Augen sein mag, dachte ich, sie muß sicherlich ganz allein aus seiner eigenen Schöpfung erwachsen. Wir warteten einige Minuten in einem ordentlichen kleinen Wohnzimmer, ausgeschmückt mit den Standbildern von zweien der Musen und mit Drucken, die Themen aus Klopstocks Oden darstellten. Der Dichter trat ein. Ich war sehr enttäuscht über sein Gesicht und konnte eigentlich keine Ähnlichkeit mit der Büste feststellen. Kein Auffassungsvermögen drückte sich auf seiner Stirn aus, nichts Wuchtiges war über den Brauen, kein Ausdruck von etwas Besonderem, sei es sittlich, sei es intelektuell, in seinen Augen, nichts Gewaltiges in seinem allgemeinen Gesichtsausdruck. Er ist eher etwas unter Mittelgröße. Er trug sehr große Halbstiefel, die von seinen Beinen ausgefüllt wurden, so fürchterlich waren die Beine angeschwollen. Obgleich jedoch weder W.- noch ich irgendeine Spur von Erhabenheit oder Begeisterung in seinem Gesichtsausdruck entdecken konnten, waren wir beide in gleichem Maße von seiner Lebhaftigkeit und seiner freundlichen und bereitwilligen Höflichkeit beeindruckt.

S.T.Coleridge, Biographia Literaria

This is the fifty-first text in the chrestomathy of German prose passages I’m committing to memory as an exercise in warding off cerebral atrophy. Coleridge had a great mind, but there is a certain pusillanimity in evidence here, a want of generosity of spirit, or perhaps rather a false expectancy that deserves the disappointment he experiences. LJ